Wer sitzt da eigentlich vor mir im Klassenzimmer? Über die Zeit hinweg, die wir unsere Schüler*innen unterrichten, finden wir bei einigen tatsächlich eine Antwort darauf. Bei einem Teil gelingt uns dies aber nicht so oft. Lediglich durch Gespräche abseits des Unterrichtsgeschehens oder wenn sich dies mal durch ein Unterrichtsthema anbietet. Zumindest geht es mir so. Umso mehr war mein Interesse geweckt, als ich die Frage nach der eigenen Identität in meinen Unterricht einbauen konnte. Damit habe ich im letzten Jahr begonnen. Und diese Woche habe ich dadurch eine besonders schöne Stunde erlebt.
Unterrichtseinheit: „Identities and exchanges“
In den beiden letzten Jahren der Oberstufe haben wir Englischlehrkräfte insgesamt acht Oberthemen zu erteilen. Davon jeweils sechs Stück pro Schuljahr. Eines der Themen, das wir Lehrkräfte für die Première (11. Klasse) ausgewählt haben, nennt sich „Identities and exchanges“ (im offiziellen Programm auf Französisch „Identités et échanges“). Bei der Wahl des Unterthemas sind wir Lehrkräfte sehr frei. Solange das gewählte Unterthema dem Oberthema entspricht, kann es unterrichtet werden. Das muss noch nicht einmal mit den Kollegen*innen abgesprochen werden.
Bei der Auswahl des Unterthemas orientiere ich mich an den zur Verfügung stehenden Lehrwerken. Ich wähle zumeist aus einem von ungefähr acht Lehrwerken aus. Dabei bin ich in einem Lehrwerk auf das Kapitel „The Identity Puzzle“ gestoßen. Darin geht es, wie man sich denken kann, darum, welche Faktoren alles unsere Identität ausmachen und formen.
Ein Schritt weiter
Anstatt aber nur die Identität anderer Menschen zu behandeln und zu entdecken, wie sich diese entwickelt hat, führte ich das Ganze einen Schritt weiter. Durch ein Lehrwerk aus einem anderen Jahrgang (Terminale (12. Klasse))dazu inspiriert, bitte ich meine Schüler*innen im Rahmen dieser Unterrichtseinheit seit letztem Schuljahr, auch über die eigene Identität zu sprechen.
Hierbei bitte ich sie, sich in Partnerarbeit gegenseitig zu interviewen. Darüber, was ihre eigene Identität ausmacht; woher sie stammen; was ihre Wurzeln sind; aber auch, wo sie sich zu Hause fühlen. Diese Aufgabe ist insbesondere deshalb interessant, da ich an einer französischen Schule im Ausland unterrichte und die Schülerschaft dadurch sehr gemischt ist. Die Schüler*innen kommen aus allen vier Ecken der Erde.
Anschließend sollen die Lernenden vorstellen, was der/die jeweilige Partner*in ihnen erzählt hat. Dadurch konnte ich auch sicherstellen, dass sie sich gegenseitig wirklich aufmerksam zuhören.
Eine besonders schöne Stunde
In diesem Jahr habe ich zwei Premières und besonders die Stunde in der einen Klasse in dieser Woche habe ich als besonders schön erlebt. Die Schüler*innen zeigten sich fast ausschließlich begeistert bei der Sache und waren zum Teil sogar kaum zu bremsen. Als ich mich nach einiger Zeit umhörte, ob sie bereit seien sich gegenseitig vorzustellen, baten mich sogar mehrere, ob sie noch mehr Zeit haben könnten. Da haben selbst einige enge Freunde*innen, die sich schon länger kennen, plötzlich ganz neue Aspekte über einander gelernt.
Süß fand ich auch, dass zwei Schülerinnen, die ich bereits im dritten Jahr hintereinander unterrichte (Das ist hier leider nicht so oft der Fall, da die Englischkurse meist immer wieder neu zusammengesetzt werden und es auch meist vom Stundenplan der Lehrkräfte und der jeweiligen Klassen abhängt.), auch nach meiner Identität gefragt haben. Ich finde zwar viel interessanter, über die Identität meiner Schüler*innen zu erfahren, habe meine Geschichte aber dennoch mit ihnen geteilt. Da kamen auch noch mehrere Nachfragen seitens einiger Schüler*innen. An einer Stelle brandete (Ich übertreibe wirklich nicht!) sogar spontaner Applaus auf, als ich erzählte, was mich an die Elfenbeinküste verschlagen hat und dass mir das Land gefällt. Das hat mich sehr berührt.
Auch fand ich schön, dass die beiden zuvor genannten Schülerinnen danach auch noch zu mir ans Pult kamen, um noch eine Weile mit mir über ihre Geschichte zu sprechen und darüber, was sie später so vorhätten, um (noch) mehr von der Welt kennenzulernen. Aus dieser Stunde ging ich wirklich mit einem schönen und warmen Gefühl hervor.
Fazit
Wie Sie sich denken können, plane ich, diese Aufgabe auch in Zukunft in meinen Klassen einzusetzen. Es ist einfach schön, über die vielen Wege der Schüler*innen zu erfahren und sie auch mal zu Wort kommen zu lassen. Ihnen die Möglichkeit zu geben, über die eigene Identität zu sprechen, bietet sich im Rahmen des Unterrichts nicht immer. Da ist eine derartige Aufgabe doch auf jeden Fall eine schöne Abwechslung. Vor allem dann, wenn dabei noch so schöne Momente entstehen.
Abbildungsverzeichnis:
- Abbildung 1: „Die eigene Identität“ (Quelle: pixabay.com), unter: https://pixabay.com/illustrations/man-face-identity-self-me-i-am-510481/ (letzter Zugriff: 07.02.2024)
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