Neues Schuljahr, neue Gesichter
Vor ungefähr fünf Wochen hat das neue Schuljahr begonnen. Neben all den Dingen, die der Beginn eines neuen Schuljahres so mit sich bringt, gehören natürlich auch viele neue Gesichter dazu. Das empfinde ich immer wieder als spannend. Was mögen sich für Charaktere hinter diesen Gesichtern verbergen. Werden wir gut miteinander zurechtkommen? Wie wird das Arbeiten mit ihnen sein? Sind sie motiviert oder haben sie nur wenig Lust auf das neue Schuljahr?
Auch dieses Mal haben mich all diese Fragen die ersten Stunden über begleitet.
Allgemein haben sich die Klassen als recht interessiert herausgestellt. Es gab auch schon echt schöne Momente. Sowohl mit ehemaligen Schülern*innen als auch mit neuen. So hat sich beispielsweise ein ehemaliger Schüler mehrmals erkundigt, ob ich nicht doch eine Klasse in seinem Jahrgang übernehmen wollen würde. Auch meinte eine neue Schülerin, dass sie das Gefühl habe, Englisch nun doch zu mögen – meinetwegen. Noch dazu hat mir eine ehemalige Schülerin, die ich drei Jahre in Folge unterrichtet habe, gesagt, dass sie mich vermissen würde. Wir hätten doch auch noch das vierte Jahr zusammen erleben können.
All diese Erlebnisse haben mir selbstverständlich ein gutes Gefühl gegeben, mich bestätigt und motiviert.
Aber wie so oft kann ja nicht immer alles so super laufen.
„Don‘t count your chickens before they‘re hatched.“
Wie auch im letzten Jahr habe ich eine Klasse – ich nenne sie derzeit meine „Chaosklasse“ -, mit der es einfach nicht laufen will. Der Anfang war gar nicht so schlecht. Ich war motiviert, mich Problemen wie Unterrichtsstörungen oder aufmüpfigen Schülern*innen zu stellen. Diese Klasse aber hat mir regelrecht den Wind aus den Segeln genommen.
Zum Teil herrscht eine derartig schlechte Atmosphäre, die unter anderem von Unterrichtsstörungen, Auslachen und gegenseitigem Fertigmachen geprägt ist, dass ein Unterrichten und Vorankommen im Unterrichtsstoff sehr mühsam ist. Zum Teil ist es sogar kaum bis gar nicht möglich.
Alle Lehrer*innen, die in dieser Klasse unterrichten, haben Probleme mit diesen Schülern*innen. Dementsprechend gab es auch schon einen regen Austausch – sowohl schriftlich als auch mündlich -, um eine ideale Strategie für den Umgang mit dieser Klasse zu finden.
Probleme mit dem Classroom Management
Bisher habe ich aber nicht das Gefühl, beim Umsetzen dieser Mittel erfolgreich gewesen zu sein.
Leider habe ich von jeher gemerkt, dass ich mit dem Classroom Management doch immer mal wieder meine Probleme habe.
Meiner Meinung nach ist mein größtes Problem, dass ich zu nett bin. Mein größter Wunsch ist es, den Schülern*innen die Angst vorm Sprechen in der Fremdsprache zu nehmen, um sie zu gleichzeitig zum Arbeiten zu motivieren. Aus diesem Grund bin ich ihnen grundsätzlich aufmunternd und freundlich gegenüber. Über die Zeit hinweg musste ich jedoch feststellen, dass diese Nettigkeit von einigen Schülern*innen auch als Schwäche angesehen und ausgenutzt wird. Dementsprechend ist Freundlichkeit bei jenen Schülern*innen der falsche Weg. Die Problematik hierbei ist aber, dass es auch irgendwie mein Naturell ist. Ich bin eine nette und freundliche Person.
Ich kann meine Stimme zwar erheben, aber es gefällt mir nicht. Noch dazu merke ich, dass mich dies zudem auslaugt. Vor drei Jahren hat mir eine Kollegin zudem gesagt, dass sie mich mal hat eine Klasse anschreien hören (die Wände sind zum Teil sehr, sehr dünn) und dass sie das gar nicht von mir erwartet hätte. Sie hätte das ja noch nie gemacht. Diesen Kommentar habe ich, wie Sie merken, nie vergessen. Immer wenn es schief läuft, tickt der Gedanke an diesen Kommentar in meinem Hinterkopf.
Diese Probleme, die Unterrichtsstörungen in den Griff zu bekommen und gleichzeitig derartige Kommentare, die mich runterziehen, lassen mich schon stark an mir selbst zweifeln. Denn immer wieder habe ich im Verlauf meiner Ausbildung gehört, wie wichtig ein gutes Classroom Management ist. Dem gebe ich auch recht, aber sobald ich eine Problemklasse vor mir sitzen habe, sind all meine guten Vorsätze schnell dahin.
Wie das so mit guten Vorsätzen ist…
Ich verfalle in alte Muster, obwohl ich doch eigentlich so viel an meiner Arbeitsweise und meinem Auftreten in den Klassen ändern wollte. Zu diesen gehört das Erheben meiner Stimme, das Abwarten bis sich der Geräuschpegel legt, das Ermahnen von Schülern*innen etc. Ich wollte strenger werden. Bereits zu Beginn des Jahres den richtigen Ton setzen.
Um den Schülern*innen also zu zeigen, was ich von ihnen erwarte, habe ich in dieser Klassenstufe gemeinsam Regeln für unsere Klasse ausarbeiten lassen. Doch eigentlich hat dies in dieser speziellen Klasse keinen interessiert. Hier herrscht anscheinend schon seit Jahren dieses schlechte Klima. Doch damit möchte ich mich nicht abfinden. Also ermahne ich, schicke auch schon einmal jemanden vor die Tür, schreibe an Eltern etc.
Bis auf eine Stunde am vergangenen Donnerstag in der ersten Schulstunde, die nach dem Gespräch der Klasse mit ihrer Klassenlehrerin stattfand, hatte ich in den letzten Wochen, seitdem wir begonnen haben, mit dem Unterrichtsprogramm zu arbeiten, keinerlei angenehme Stunde in dieser Klasse. Die Klassenlehrerin schrieb ebenfalls in einer Mail an uns Lehrer*innen, dass wir es mit dieser Klasse in diesem Jahr sicherlich nicht einfach haben werden.
Allein
Und obwohl alle Lehrer*innen Probleme mit dieser Klasse haben, sehe ich ja nur mich in dieser Situation kämpfen und Schwierigkeiten haben. Ich stehe ja schließlich allein vor dieser Gruppe.
Die Klassenlehrerin hat mit der Klasse abgemacht, dass sie bei Störungen den Namen des/der jeweiligen Schülers*in an die Tafel schreibt – die alte Methode halt – und was bei Folgestörungen geschieht. Dies habe ich seit gestern ebenfalls begonnen anzuwenden.
Aber: Wenn es dann wieder besonders unruhig wird, so weiß ich oft gar nicht, bei welchen Schülern*innen ich anfangen soll. In dieser Klasse stören oftmals mehrere Schüler*innen gleichzeitig. Schön auch, wenn bei Ermahnungen dann auch noch Widerworte erfolgen. Ein Lehrer hat eine Schülerin bereits nachsitzen lassen, weil deren Verhalten ihm gegenüber so respektlos war – eben wegen dieser Widerworte.
Ich fühle mich zum Teil regelrecht verloren.
Noch dazu habe ich diese Klasse auch noch freitags in der allerletzten Stunde – von 16:00 Uhr bis 16:55 Uhr. Vielen Dank auch an die Person, die sich das überlegt hat…
Probleme über Probleme
Wer mit Unterrichtsstörungen zu kämpfen hat, der versucht sich selbstverständlich auch über die Ursachen im Klaren zu werden. Neben den genannten Problemen – das schlechte Klassenklima und der Unwille zu lernen -, die bereits seit Jahren vorherrschen, bemerke ich jedoch auch zunehmend einen weiteren Grund – zumindest in Englisch.
Es zeigt sich nämlich nach und nach, wie schwach viele Schüler*innen wirklich in diesem Fach sind. Schon die einfachsten Aufgabenstellungen werden nicht verstanden. Selbst dann nicht, wenn ich diese mehrfach ganz langsam mit Pausen dazwischen wiederhole. Auch die schriftliche Version einer Aufgabenstellung wird nicht verstanden. Nicht wenige geben sich allerdings auch kaum Mühe, diese zu verstehen.
Ein Schüler in dieser Klasse fragt ständig – auf Französisch -, ob nicht ins Französische übersetzt werden könnte. Er versucht nicht einmal, auf Englisch zu sprechen. Gestern habe ich ihn erneut darauf hingewiesen, dass er lernen müsse, die Aufgabenstellungen zu verstehen und zudem wenigstens versuchen sollte, seine Frage auf Englisch zu formulieren.
Neben der überwiegend vorherrschenden Lernunlust ist also auch das mangelhafte Verständnis der englischen Sprache ein Problem. Und was tun Schüler*innen, die nichts verstehen und sich auch nicht bemühen, dies zu tun? Sie langweilen sich und beginnen zu stören.
Da hilft auch alles Vereinfachen der Aufgaben und Scaffolding in Form von Vokabelhilfen nichts.
Ausgelaugt
Erneut ist nun eine Woche vergangen, in welcher ich mich wie im Kreis drehte. Ich versuche, einen guten Unterricht zu machen und gleichzeitig gelingt mir dies nicht, weil auf so viele Quellen von Unterrichtsstörungen gleichzeitig reagiert werden muss. Und es macht mich müde.
Zudem habe ich ja nicht nur diese Klasse. Es gibt noch eine Vielzahl anderer Schüler*innen, die sehr große Probleme in Englisch haben und die somit ebenfalls meine volle Aufmerksamkeit benötigen. Ich merke jedoch, dass ich dafür zum Teil zu erschöpft bin. Die Erschöpfung steigt außerdem stetig an.
Diese Chaosklasse ist wie ein Vampir, der meine Energie aussaugt. Nach jeder Stunde in dieser Klasse freue ich mich mehr auf mein Wochenende, an dem ich versuche, wieder zu mehr Energie zu gelangen. „Dank“ meiner inneren Uhr wache ich aber oft zu früh auf und kann dann nicht wieder einschlafen, weil meine Gedanken kreisen – speziell um diese Problemklasse. Und je müder ich werde, desto weniger bin ich eigentlich voll und ganz einsatzbereit, um dieser Problematik im Verlauf des Arbeitsalltags angemessen zu begegnen.
Abschließend…
Wie Sie sehen, müssen in dieser Klasse doch noch härtere Geschütze aufgefahren werden, als die bereits eingesetzten. Wie die Klassenlehrerin meinte, sollten wir eine gemeinsame Strategie ausarbeiten und den Schülern*innen dieser Klasse signalisieren, dass die Lehrkräfte dieser Klasse gemeinsam arbeiten, dass wir eine Gruppe sind und nicht nur Individuen.
Glücklicherweise hat die Klassenlehrerin bereits einige Vorschläge gemacht und somit werde ich mich in den nächsten Tagen damit beschäftigen, wie ich diese in meinem Unterricht einsetzen kann. Zudem möchte ich an meiner Strenge aber gleichzeitig auch an meiner inneren Ruhe arbeiten. Denn bei Unruhe die Stimme zu erheben oder auf patzige Antworten ebenso patzig zu reagieren, will ich nicht (mehr).
Für die Zukunft möchte ich zudem auch mehr an mir selbst arbeiten, um außerhalb der Schule für genügend Ruhe zu sorgen. Rund um die Uhr zu arbeiten und das Wochenende über fast ausschließlich für die Schule tätig zu sein, kann nicht das Ziel sein und ist nicht gesund. Dass ich einfach nur müde bin, merke ich sogar an der Qualität dieses Artikels, den ich insbesondere als weniger strukturiert empfinde. Es muss sich also definitiv etwas ändern.
Und Sie?
Wie steht es mit Ihnen? Haben Sie ebenfalls Erfahrung mit derartigen Klassen gemacht und haben diese in ihre Schranken weisen können? Wenn ja, wie haben Sie dies gemacht? Wie lief das Verhältnis nachfolgend ab? Können Sie den Gedanken an die Probleme mit einer Klasse ausschalten oder beschäftigen Sie diese ebenfalls so wie mich? Über Tipps wäre ich auf jeden Fall dankbar. Wobei ich, ehrlich gesagt, über die Jahre viele Ideen erfahren und über diese gelesen habe. Bisher ist mir, wie man sieht, die Umsetzung jedoch nicht zufriedenstellend gelungen.
Abbildungsverzeichnis:
- Abbildung 1: „Don‘t count your chickens before they are hatched“ (Quelle: The Daily Observer), unter: https://www.observerbd.com/2015/04/12/83227.php (Zugriff: 08.10.2022)
- Abbildung 2: „Unterrichtsstörungen“ (Quelle: iStock), unter: https://www.istockphoto.com/search/2/image?mediatype=illustration&phrase=classroom+chaos (Zugriff: 08.10.2022)
- Abbildung 3: „Regeln sind wichtig“ (Quelle: CSO Online), unter: https://www.csoonline.com/article/3663691/sigma-rules-explained-when-and-how-to-use-them-to-log-events.html (Zugriff: 08.10.2022)
- Abbildung 4: „Allein gegen alle“ (Quelle: pixabay), unter: https://pixabay.com/de/photos/einer-gegen-alle-alle-gegen-einen-1744093/ (Zugriff: 08.10.2022)
- Abbildung 5: „Englischkenntnisse“ (Quelle: Arbeitstipps.de), unter: https://www.arbeitstipps.de/englischkenntnisse-verbessern-jobchancen-erhoehen.html (Zugriff: 08.10.2022)
- Abbildung 6: „Die Energie schwindet“ (Quelle: wels-aktuell.at), unter: https://www.wels-aktuell.at/author/teamwels2021gmail-com/ (Zugriff: 08.10.2022)
- Abbildung 7: „Energievampire“ (Quelle: LinkedIn.com), unter: https://de.linkedin.com/posts/birgit-carlson-b781b3123_podcast-bewusstsein-persönlichkeitsentwicklung-activity-6888894798237835265-fT83?trk=public_profile_share_view (Zugriff: 08.10.2022)
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